St. Nikolaus

Wer ist dieser Ausländer aus einem Nicht-EU-Staat, der am 6. Dezember so gefeiert wird? Seine Geschichte beschrieb der Theologe Professor Ulfrid Kleinert bei einem Vortrag im sächsischen Radebeul-Kötzschenbroda auf Einladung der Evangelischen Friedenskirchengemeinde. Wir dokumentieren Auszüge daraus:

Einen Ausländer wie mich einzuladen, ist alles andere als selbstverständlich. Ich bin inzwischen ein alter Mann und meine Heimat liegt weit weg von hier im Süd-Osten des Erdteils. Ich komme aus einem Land, das in der Europäischen Union nichts zu suchen hat – so denken jedenfalls viele. Myra ist ein schönes Städtchen im Süden der Türkei, direkt am Mittelmeer gelegen. Einst war es eine bedeutende Hafen- und Handelsstadt. Von der schönen alten Kirche, die man dort zu meinen Ehren gebaut hat, ist leider nur eine gewaltige Ruine übrig geblieben. Aber dafür gibt es jetzt in vielen, vielen anderen Hafen- und Handelsstädten in aller Welt gut erhaltene oder restaurierte oder neu errichtete Kirchenbauten, die sich nach mir nennen.

Zuerst wurde ich v

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or etwa 1700 Jahren geboren. Damals war der christliche Glaube von der Staatsmacht nicht akzeptiert. Als ich erwachsen war, hatte sich der Wind gedreht. Der römische Kaiser gab es auf, Menschen meines Glaubens zu verfolgen und wurde kurz vor seinem Tod selbst Christ. Zu der Zeit war ich Bischof von Myra. Mein zweiter Geburtstag fand etwa zweihundert Jahre später statt. Wieder hieß ich Nikolaus. Ich wurde aber nicht in, sondern in der Nähe von Myra geboren – und später nicht Bischof von Lykiens Hauptstadt, sondern Abt eines benachbarten Klosters in Sion. Meine dritte Geburt spielt wieder gut zweihundert Jahre später. In den Erzählungen des Volkes vermischten sich nämlich die Berichte über den Nikolaus des 4. und den des 6. Jahrhunderts und es entstand Nikolaus der große Heilige. Als der werde ich heute vor allem in der orthodoxen Kirche im Osten und im Süden verehrt. Aber auch in der West-Kirche Roms und bei Protestanten, ja sogar bei manchen Atheisten genieße ich hohes Ansehen. Nach mir nennen sich Kirchen, Straßen und Plätze, werden Männer und Frauen gerufen: Nikolaus, Niklas, Klaus und Nicolai; Nicole und Nicola usw. Was aber nun hat mich so berühmt gemacht? Ich war ein neugieriger junger Mann und das Leben lag vor mir. In meiner Stadt gab es wie überall Reiche und Arme. In einem Haus, das früher einmal ganz schön gewesen sein muss, aber an dem jetzt der Putz von den Wänden bröckelte, lebte ein verarmter allein erziehender Vater mit seinen drei Töchtern. Die Töchter waren jung und ansehnlich geraten. Durch Prostitution könnten sie sicherlich Geld für die Familie und für ihre eigene Zukunft verdienen. Wo würde ihr Weg enden? Mir selbst ging es damals finanziell ziemlich gut. Es reizte mich, der Familie heimlich zu helfen. So eine Mischung aus Freude, etwas Gutes zu tun und Vergnügen, andere zu überraschen. Zweimal klappte es hervorragend: unbemerkt konnte ich nachts eine kostbare goldene Kugel erst auf dem Bett der älteren, dann auf dem der mittleren Tochter platzieren. Nur als ich mit der dritten Kugel zum Bett der Jüngsten kam, lauerte mir der Vater auf und erwischte mich beim Weglaufen. Ich war zwar ertappt, aber der Familie ermöglichten die Kugeln ein bürgerliches Leben und halfen den Töchtern, einen ordentlichen Mann zu finden. Und ich gelte seit dieser Geschichte als Wohltäter. Ich reize die Menschen dazu, ebenfalls heimlich in der Nacht meines Jahrestages anderen Gutes zu tun. Gleichermaßen weise ich so auf  das nahende Weihnachtsfest hin.

Wer St. Nikolaus und seine Geschichte sehen will, braucht nur am Eingang unserer Kirche den Kopf zu heben und das Tympanon anzusehen.